Aus der Nische gezerrt

Die Fußball-WM der Menschen mit Behinderung stößt auf breites Medieninteresse, Schülerhorden säumen die Stadiontribünen. Doch vielen Behindertensportlern fällt es schwer, damit umzugehen

AUS DORTMUND DANIEL THEWELEIT

In regelmäßigen Abständen untersucht die Sportpublizistik die Medienpräsenz der unterschiedlichen Sportarten, und sie kommt dabei immer wieder zu denselben Ergebnissen: Fußball dominiert die Sportsendungen. Auch wird stets kritisch angemerkt, dass der Behindertensport eine viel zu geringe Rolle spiele. Als nun die Inas-Fid Fußball-WM 2006 der Menschen mit Behinderung nach Deutschland kam, haben ARD und ZDF alles darangesetzt, diesem Vorwurf entgegenzutreten, und schaufelten richtig viel Raum für diese Veranstaltung frei. Sogar die großen Nachrichtensendungen schickten Meldungen und Berichte in die Welt hinaus.

Doch wird etwas bleiben für die Betroffenen? Geht diese Form des Umgangs mit Behinderung nicht sogar am Thema vorbei? „Nein, ganz bestimmt nicht“, sagt Ralf Kuckuck, der Geschäftsführer der Weltmeisterschaft. „Bleiben wird, dass es eine Zugangserleichterung zum Thema gibt“, das müsse man nun allerdings nutzen. Die Veranstalter nehmen das „überwältigende Zuschauerinteresse“, wie es in einer Mitteilung heißt, als Hauptargument für den Erfolg des Wettbewerbs. „Vielleicht werden wir am Ende 300.000 Besucher zählen können“, sagt Kuckuck. Doch ohne die vielen Schüler, die vor die Wahl gestellt wurden, in den Unterricht zu gehen oder zu einem Fußballspiel, sähe diese Zahl wesentlich bescheidener aus. Am kommenden Samstag, einem Tag ohne Schülerbesuche, wenn Holland in Leverkusen im Finale gegen Saudi-Arabien spielt, wird sich zeigen, wie sehr sich die Leute tatsächlich für den Wettbewerb und seine Thematik interessieren.

Die Spiele für sich waren nämlich sportlich nur bedingt attraktiv. Fast immer gewinnt das Team, das mit 1:0 in Führung geht, „weil die Spieler schlecht mit so einem Rückstand umgehen können“, erklärt Rene Bonna, der Trainer des Finalisten Holland. Die Kommentatoren Jürgen Bergener und Steffen Simon hätten „das Thema in allen Fernsehübertragungen sehr eindrucksvoll erklärt“. Doch um die Stadien mit Schülern füllen zu können und die üppigen Fernsehzeiten zu erhalten, wurden die meisten Spiele um die Mittagszeit ausgetragen. Vor den Fernsehbildschirmen sah sich wohl auch deshalb kaum jemand diese Übertragungen an, und in den quotenstarken Nachrichtensendungen wurde berichtet wie über ein x-beliebiges Sportereignis. Trotz aller Mühe wurde also nur eine marginale Minderheit ernsthaft mit dem Thema „geistige Behinderung“ konfrontiert. Immerhin sei „diese Erfahrung insgesamt sehr positiv und wird den Spielern im Leben nach der WM weiterhelfen“, so Bundestrainer Willi Breuer.

Doch selbst für die Akteure waren die Wochen der Weltmeisterschaft keine Zeit des Genießens. Unter dem Erfolgsdruck entstanden im deutschen Team eine Menge Konflikte, und die Titelverteidiger aus England waren so erzürnt, dass sie nach ihrer Niederlage gegen Saudi-Arabien Gerüchten zufolge im Hotel randalierten. In jedem Fall sind sie vorzeitig abgereist, sodass ihre Platzierungsspiele ausfallen mussten. „Die Spieler sind es nicht gewohnt, so komprimiert zusammenzuleben“, meint Breuer, „und da entstehen eben Probleme. Erst recht in der Misserfolgssituation.“

Besonders schwer hatte es da Australien. Das Team verlor fast immer zweistellig, gegen Holland sogar mit 0:50. Selbstbewusster reisen diese Sportler sicher nicht in die Heimat. Hollands Trainer Bonna meint: „Man muss sich einfach entscheiden, ob man einen Wettkampf macht, in dem es um große sportliche Leistungen geht, oder ob die soziale Komponente im Vordergrund stehen soll.“